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Die Abiturienten

von

1984

 

Was für eine Zahl?

Georg Orwells gleichnamiger Zukunftsroman war/ist Pflichtlektüre.

Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hielt es der geniale SiFi-Autor für realistisch, dass wir binnen einer Generation die vollumfängliche Überwachung der Menschheit hinbekommen.

 

Im Jahre 1984 war sein Buch erst 36 Jahre jung.

Seitdem sind 40 Jahre vergangen, und tatsächlich haben wir es fast geschafft.

 

Meiner Überzeugung nach hatte die Menschheit sich nicht zum Ziel gesetzt, alle Individuen zu überwachen. Viel mehr denke ich, der Überwachungsstaat ist eher ein Nebenprodukt.

Es gibt nun mal Technikfreaks, die nicht anders können, als forschen, tüfteln – Kameras kleiner machen – Kameras vernetzen, etc.

Der ein oder andere unserer Mitschüler hat bestimmt mitgewerkelt. Ich selbst nehme mich nicht aus, denn immerhin hat eine Firma, für die ich gearbeitet habe, Milliarden mit dem Fernseh-Projekt „Big Brother“ verdient.

Die Dinge passieren, ob wir wollen oder nicht.

 

 

Lieber Leser,

Du liest dies, weil Rainer Bensch meinte, ich sollte als früherer Schulsprecher etwas schreiben.

Und das hat er jetzt davon. Er muss lesen, was in meinem nunmehr sechzigjährigen Kopf für Gedanken wandern.

 

 

Dieses letzte Foto von mir als Schüler zeigt mich neben unserem Schulleiter Herrn Heidbreder, dem ich wenige Sekunden zuvor in einer Rede erklärt hatte, warum ich mit seiner Schulleitung nicht einverstanden war.

Er hätte mich nach meinen Worten sicher gerne einfach von der Bühne gehen lassen, aber der arme Herr Heidbreder musste gute Miene zum bösen Spiel machen, weil das Protokoll zu meiner Überraschung vorsah, mir auf offener Bühne ein Buch zu überreichen – was wiederum nur Sinn machte, wenn man betonte, wie gut die Zusammenarbeit zwischen Schulleitung und Schülervertretung lief.

Dass man solche Dinge nicht vergißt?!

 

Auch das Buch habe ich noch. Es heißt „Ich hörte die Eule. Sie rief meinen Namen“.

Ich nahm es entgegen und ging durch die Aula Richtung Ausgang. Da stand Mark Christiansen, und merkwürdigerweise ist der Blickkontakt mit ihm das letzte, an das ich mich erinnere.

Oje, Mark. Du weißt das wahrscheinlich gar nicht. Oder vielleicht erinnerst Du Dich ja doch.

 

Das Schulgebäude habe ich danach nicht wieder betreten und auch jetzt das starke Gefühl, als hätte ich die gesamte Schulzeit in einem Raum innerhalb meines Gehirns weggesperrt.

 

Der Tim brauchte das wohl, um sich zu verwandeln. Ich habe mich oft verwandelt.

 

Keine Bange!

Mir ist bewusst, dass der geneigte Leser seine eigenen Jahrzehnte gelebt hat. Da muss er nicht noch meine lesen.

 

Und doch:

Was ist denn das Spannende am Abi-Treffen?

Alle wiedersehen. Erfahren, wie die anderen Lebensläufe gegangen sind. Schauen, wer wie gealtert ist.

Aber auch sich gemeinsam erinnern.

 

Also begebe ich mich jetzt in diesen seit vierzig Jahren verschlossenen Raum von 1984

 

 

Politisch fühlt es sich nicht behaglich an. Noch herrscht der Kalte Krieg. Das fiel uns damals kaum auf, denn wir waren von Geburt an daran gewöhnt.

Doch jetzt bewegte sich langsam etwas im Osten:

Nachdem Kreml-Chef Breschnew mit 69 Jahren gestorben war, versuchten wir uns an einen gewissen Herrn Andropow zu gewöhnen. Aber der befindet sich auch nicht mehr in diesem Raum von 1984, denn er wurde schon nach 15 Monaten von Konstantin Tschernenko abgelöst. Bleibenden Eindruck haben beide hier nicht hinterlassen.

 

Unser Raum 1984 zeugt aber nicht nur von den ersten Ost-Änderungen unserer Wahrnehmung, sondern auch davon, dass in der westlichen Hemisphäre fast überall konservative Kräfte an die Spitze gewählt werden. Margaret Thatcher und Ronald Reagan stechen besonders hervor.

Unser Kanzler Helmut Kohl passt ins Bild.

 

Das Archiv der ARD-Tagesschau hält folgenden Zusammenschnitt der Nachrichten von 1984 bereit: